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Expertengespräch

mit Johannes Magenheim

Der systemorientierte Ansatz
in der Fachdidaktik Informatik
Teil 1:    Informatiksysteme

A. Pasternak:   Ja, hallo Johannes

J. Magenheim:   Hallo Arno

A. Pasternak:   Mal gucken, ob wir alte didaktische Begriffe aufwärmen können und hinterfragen können.

J. Magenheim:   Wir versuchen das Beste, soweit sich meine Erinnerung noch mit den Dingen befasst hat und noch parat hat.

A. Pasternak:   Ja, ich wollte, habe ich dir ja auch schon geschrieben, mit dem Begriff Informatiksystem anfangen. Einmal deswegen, weil wir den Begriff Informatiksystem eigentlich immer verwenden im didaktischen Zusammenhang. Wir reden eigentlich bei allen Papieren und bei allen Aufsätzen davon und sofern ist das ein zentraler Begriff.

Und da will ich mal eine Geschichte erzählen, die mich etwas unheimlich zum Stutzen gebracht hat. Und zwar 2015 war die INFOS in Darmstadt bei Jens Gallenbacher. Und parallel oder direkt davor oder direkt dahinter, das weiß ich nicht mehr, war die Endrunde vom Bundeswettbewerb Informatik. Und dann in der Wechselzeit saß ich da mit irgendwelchen Didaktikern in der Kneipe. Und dann kamen die Leute von der Jury dazu, und wir unterhielten uns didaktisch da gerade.

Und dann war auch da Peter Rosmanith, der der Vorsitzende vom AGA ist, stand da rum: "Jetzt quatscht Ihr hier. Ihr solltet doch arbeiten" und so weiter. Und dann fingen wir wieder an und dann redeten wir über Informatiksysteme. Und da fragte Peter: "Wovon redet ihr da?" "Von Informatiksystemen" und da sagte Peter: "Ja, was ist das denn?' Und da sagten wir: "Ja, Informatiksystem, das ist doch klar." Dann sagte er: "Nee, ist überhaupt nicht klar!" Und selbst als wir ihm das erklärt haben, wie wir das so betrachtet haben, war er immer noch am Stutzen.

Unabhängig von der Bedeutsamkeit dieser Erklärung, dachte ich nur: Kann es sein, dass wir einen Begriff benutzen in der Didaktik, der eigentlich in der Fachwelt so gut wie gar nicht benutzt wird, und bei denen nur Kopfschütteln auslöst? Das finde ich eigentlich etwas komisch.

J. Magenheim:   Ja, das ist schon so, dass der Begriff System erstmal sehr generisch ist. System und Struktur, das sind so Dinge, die häufig benutzt werden. Damit kannst du alles Mögliche beschreiben. Also, da kannst du auch gruppendynamische Prozesse beim Yoga beschreiben. Na gut. Ernsthaft, ich denke, wir müssen uns schon der theoretischen Grundlagen bewusst sein, wenn wir das verwenden.

A. Pasternak:   Ja, sonst machen wir uns lächerlich auch vor der Fachwissenschaft.

J. Magenheim:   Also, ich habe ja einen soziologischen bildungstheoretischen Hintergrund und habe mich auch mit Systemtheorie beschäftigt; also mit Niklas Luhmann, und dann in der Folge von Luhmann -- auch mit Ropohl --, die sich über Systeme geäußert haben. Technische Systeme. Das sind also Systeme, im Prinzip strukturiert. Struktur einmal mit einem technischen Anteil, mit einem energetischen Anteil teilweise, dann mit einem sachbezogenen oder Zielanteil, für das sie eingesetzt werden, und dann mit einem Handlungsanteil, in diesem Handlungsanteil sind auch Personen involviert.

Insofern sind also jetzt Informatiksysteme solche Systeme, die im Bereich der Informatik eingesetzt werden, mit Hard- und Software, die genau diese Strukturen aufweisen, nämlich den technischen Anteil zu haben, einen Sach- oder Zielanteil, weil es da darum geht, sie zu bestimmten Zwecken einzusetzen, in bestimmten Zusammenhängen. Sie haben auch einen bestimmten energetischen Anteil, wie sie aufgebaut sind gerade im Bereich der Green Informatik - ganz neu. Da spielt das durchaus eine Rolle.

Dann natürlich - ganz wichtig halt - der soziale, der Handlungsbezug, der Sachbezug. Handlungsbezug der Personen, die da agieren. Die sind ganz eng mit diesen anderen Teilsystemen aggregiert. Also insofern ist ein Informatiksystem für mich ein System, bei dem verschiedene Komponenten, Strukturelemente eines Systems - im Sinne von Ropohl - miteinander eng verschmolzen sind. Das jetzt erstmal auf einem sehr theoretischen Level. Das ist bezogen auf Luhmann, was ich damit meine.

A. Pasternak:   Dann finde ich natürlich, dass, wie wir es oft benutzen, sehr stark reduziert haben, häufig nicht total, aber auf den technischen Aspekt. Dann ist diese Zusammenstellung von Hard- und Software plus Vernetzungsstrukturen natürlich bei den theoretischen Leuten nicht so im Vordergrund und wir müssten dann noch vielleicht, und damit das dann für die auch nachvollziehbar ist, die anderen Aspektebenen mehr hineinbringen, damit denen das auch sinnvoll erscheint, dass wir in den Bildungswissenschaften und in der Informatik dann etwas als solches System betrachten.

Ansonsten finde ich das etwas fragwürdig, wenn die sagen, was ihr da betrachtet, ist aus Sicht der Informatik also irrelevant.

J. Magenheim:   Wenn wir jetzt diesen didaktischen, diesen Bildungsaspekt reinbringen, der ja ganz wichtig ist, dann müssen wir noch ein bisschen weiter ausholen, weil das, was ich jetzt beschrieben habe, ist eine sehr formale Beschreibung, die möglicherweise auf andere Systeme - technische Systeme - auch passen würde.

Das waren jetzt halt hier Informatiksysteme, die Informationen und Daten verarbeiten. Da haben wir halt auch jetzt die Nähe zum informationszentrierten Ansatz ala Hubwieser oder von Breier zum Beispiel. Und ich denke, wenn wir diesen Bildungsauftrag jetzt mit hinzunehmen, dann ist natürlich jetzt das Zielsystem doppelt zu betrachten in der Didaktik. Nämlich einmal das Zielsystem des Informatiksystems in einem konkreten Kontext, wo es eingesetzt wird. 'Informatik im Kontext' lässt grüssen. Und auf der anderen Seite ist es aber auch das Zielsystem aus einer didaktischen Perspektive, wo wir uns überlegen müssen, was wollen wir eigentlich jetzt da als Bildungsauftrag vermitteln, wenn wir sowas in der Schule, den Schüern präsentieren, entwickeln, gestalten, analysieren, dekonstruieren, das wär ein anderer Begriff.

Also Torsten Brinda und auch Peer Stechert haben ja so den Begriff des didaktischen Systems im Kontext der Arbeiten um Sigrid Schubert entwickelt. Da ist diese didaktische Perspektive dann gleichzeitig mit dem Systembegriff so ein bisschen verschmolzen. Aber das sind jetzt verschiedene Ebenen. Wir müssten halt dann mal gucken, was ist der Bildungsauftrag, wenn man sowas in der Schule macht und was ist eigentlich jetzt ein Informatiksystem im engeren Sinne, wie ich ihn auch möglicherweise in der Fachwissenschaft einsetzen würde, um das Kollegen aus der Fachwissenschaft zu erklären.

A. Pasternak:   Ja, also gedacht war das jetzt von mir als Start und eigentlich finde ich, machen wir ein dickes Fass auf, dass wir eigentlich sagen, wenn wir so locker mit diesem Begriff umgehen und eigentlich gar nicht so sehr bewusst geworden sind, dass wir etwas Wichtiges haben aus der Bildungsperspektive auch gegenüber der Fachwissenschaft. Wenn wir das richtig benutzen wollen, müssten wir eigentlich jetzt viele Arbeiten schreiben lassen und auch Analysen machen lassen, damit der Begriff wirklich ernsthaft belegt ist und noch ernsthaft dann nicht nur ein bisschen so als Anlass genommen wird, sondern auch uns auch wirklich hilft bei der didaktischen Aufarbeitung.

J. Magenheim:   Es gab schon - glaube ich - im Informatikspektrum einen Beitrag von Syrbe, der sich da mit Informatiksystemen auch so mit Bezug auf Luhmann beschäftigt hat und der hat dann versucht, diesen Systembegriff ein bisschen aufzudröseln. Aber da ist das dann halt auch ein sehr technischer und weniger ein soziotechnischer Aspekt. Der ist zwar implizit mit drin, aber da geht es halt auch so um die Komplexität der Informatiksysteme, ob die jetzt nur lokal oder verteilt sind, ob die zum Beispiel parallel oder sequentiell laufen.

Das wäre eine Sache, dann die Frage, welchen Grad spielt die Human-Computer-Interaction. Da kommt natürlich die Interaktion mit rein, aber wie stark spielt die eine Rolle? Ist das nur ganz punktueller Input oder haben wir hier einen sehr intensiven Austausch, so im Sinne von Wegner: 'Why interaction is more powerful than algorithm?' Ein sehr interessanter Artikel, den ihr sicher auch kennt. Der war fundamental für den systemtheoretischen Ansatz.

A. Pasternak:   Ja, ich glaube aber: Auch wenn ich jetzt an Informatik und Gesellschaft denke, wo wir ja immer Schwierigkeiten haben, das eigentlich sinnvoll in die Schule zu integrieren und nicht nur angeflanzt einbauen, dann wäre das vielleicht der Ansatzpunkt, wo man dann vielleicht sagen könnte, wenn wir so ein soziotechnisches System betrachten wollen, dann haben wir auch Informatik und Gesellschaft natürlich inbegriffen und kann natürlich von da aus viel mehr integraler Bestandteil von Schulinformatik sein.